Joachim Gauck über kämpferische Toleranz | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Joachim Gauck über kämpferische Toleranz

Stand: 30.09.20 16:41 Uhr

Hoher Besuch in Tübingen - Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck war am Dienstagabend zu Gast bei Bernadette Schoog im Sparkassen Carré in Tübingen. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um mit dem Politiker, Theologen und Publizisten Gauck über sein Buch „Toleranz, einfach schwer“, aber auch über die Rolle der sozialen Medien zu sprechen.


Eine beliebte Veranstaltungsreihe im Sparkassen Carré Tübingen ist das Format „Schoog im Dialog" - mit Moderatorin Bernadette Schoog. Kein Wunder also, dass sich auch trotz Corona eine kleine Schlange am Eingang bildet – natürlich mit Abstand.

Ihr Gast an diesem Abend ist aber auch kein geringerer als der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck. In seinem jüngsten Buch „Toleranz, einfach schwer" spricht Gauck über das Vorhandensein und das Fehlen von Toleranz, aber auch über Grenzen im Tolerant sein. Es sei oft schwer tolerant zu sein, weil Toleranz manchmal eine Zumutung wäre, erklärt Gauck im Interview. Toleranz brauche man dann, wenn es schwer falle, die Meinung eines anderen zu akzeptieren. Manchmal sind das Meinungen, die uns zwar nicht gefielen, aber noch rechtskonform seien und mit unserer Verfassung übereinstimmten. Manchmal wären Meinungen aber auch so widerwärtig und gegen unser Recht und unsere Verfassung, dann müsse man auch intolerant sein, erklärt der ehemalige Bundespräsident.

Diese Grenzen auszuloten – genau darüber müsse man sprechen. Er fordert eine erweiterte Toleranz, die in unterschiedliche Richtungen gehen müsse. Genauso wichtig sei aber auch eine starke und entschlossene Intoleranz, wenn menschenfeindliche, freiheitsfeindliche oder völlig intolerante Positionen eingenommen würden. Dann sei Schluss mit Verstehen, betont Gauck. In seinem Buch fordert Gauck eine kämpferische Toleranz, in der man sich auch mal streiten müsse. Das sei wichtig. Insbesondere in Krisenzeiten. Nicht jeder Mensch, der vielleicht eine Zeit lang umherirre, vielleicht mit den falschen Leuten bei Demos mitlaufe, sei gleich verloren. Die meisten Menschen könne man noch erreichen, so der studierte Theologe. Ein geeigneter Platz, um sich zu streiten sind heutzutage oftmals auch die Sozialen Medien.

„Ich habe ja noch Zeiten erlebt, als so etwas überhaupt nicht existierte. Und als es entstand hat man gedacht, das wird eine großartige Zeit für die Demokratie, für den Meinungsaustausch der Verschiedenen. Und das ist es ja auch. Aber es ist eben auch ein Ort, wo alle Bekloppten und alle Menschen mit einem negativen Menschenbild mit Zorn und Wut und Hass zugange sind und das spüren wir. Das regt uns natürlich maßlos auf. Aber wir können ja Entwicklungen der technischen Moderne auch nicht einfach wieder verbieten oder so. Und deshalb brauchen wir ein Training, was wir als Gesellschaft ertragen wollen und was nicht", erklärt Gauck.

Zusätzlich würden auch Gesetze dazu dienen, dass Straftaten innerhalb der sozialen Medien verfolgt und bestimmte Tweets gelöscht würden.

Da Gauck in Tübingen zu Besuch ist und der Oberbürgermeister der Stadt selbst immer wieder mal in der Kritik für seine Botschaften in den sozialen Medien steht, wollen wir vom ehemaligen Bundespräsident wissen, wie er dieses Verhalten beurteilt. Für ihn sei Palmer ein Beispiel für Menschen, die ihre Individualität deutlich herausstellen würden.

„Wir wollen ja auch nicht nur so völlig glatt geschliffene Figuren, die dann nur noch Statements, die hundert Mal abgesichert sind, haben. Das erzeugt ja auch Frust in der Öffentlichkeit und bei den Wählern. Und deshalb ist es so, dass wir damit klarkommen müssen. Er weiß auch - wenn ich zugespitzt formuliere, bekomme ich auch eine zugespitzte Antwort", so Gauck.

Was allerdings nicht gehe, seien Morddrohungen oder das einzelne Publizisten oder Politiker bereits Personenschutz benötigten. Das sei genau der Übergang in den Bereich, in dem man keine Toleranz mehr gewähren müsse, betont der frühere Bundespräsident.

Das komplexe Thema der kämpferischen Toleranz, wie Gauck sie fordert, wird ausführlich in seinem Buch besprochen, aus dem er am Ende der Veranstaltung auch vorlas.

Die Themen über die man mit ihm sprechen könnte, seien nahezu endlos, betonte auch Moderatorin Bernadette Schoog, die an diesem Abend nur wenige Fragen stellen konnte. Denn Gauck ist ein Mann, der gerne aus seinem reichen Schatz an Erfahrungen erzählt –

und das ganz nahbar und auf Augenhöhe. Bei den Anwesenden Gästen konnte er mit dieser Art punkten. Nach der Veranstaltung nahm sich der ehemalige Bundespräsident dann noch jede Menge Zeit, um Bücher zu signieren und mit den Menschen zu reden.

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