Boris Palmer | Bildquelle: RTF.1

Tübingen:

Palmer schreibt an ver.di: Tübingen wird Corona-Testpflicht in Betrieben nicht aussetzen

Stand: 23.04.21 09:21 Uhr

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich diese Woche in einem offenen Brief an die Gewerkschaft ver.di gewandt: Tübingen werde die Corona-Testpflicht in Betrieben nicht aussetzen. Das hatte Verdi-Bezirkschf Stein gefordert. Lesen Sie hier Palmers Brief im vollen Wortlaut:


Der Tübinger Rathauschef erklärte darin, dass er die seit dem 12. April in Tübingen geltende Corona-Testpflicht für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern NICHT aussetzen werde. Die Testpflicht gelte allerdings nur dann für Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber seiner Testangebotspflicht nachkomme. Davon sei allerdings seit der entsprechenden Bundesverordnung auszugehen.

Benjamin Stein, Geschäftsführer bei ver.di im Bezirk Fils-Neckar-Alb, hatte in einem Schreiben die Aussetzung der Testpflicht gefordert, da die Gewerkschaft diese für rechtlich fragwürdig halte. Palmer betonte in seiner Stellungnahme, dass die von ver.di vermutete Rechtsunsicherheit nicht bestehe. Die von der Stadt erlassene Allgemeinverfügung sei unmittelbar wirksam und in Abstimmung mit dem Land Baden-Württemberg erlassen worden.

Hier der vollständige Brief:

Sehr geehrte Damen und Herren im ver.di Bezirksvorstand, sehr geehrter Herr Stein,

Sie haben mich in einer Pressemitteilung aufgefordert, die Testpflicht für Beschäftigte, die in Tübingen seit dem 12. April in Betrieben mit mehr als 50 Köpfen gilt, auszusetzen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, befürchten Sie, dass die Testpflicht auch dann greife, wenn der Arbeitgeber keine Tests anbiete. Hier kann ich Sie beruhigen. Selbstverständlich gilt die Testpflicht für Arbeitnehmer nur, wenn der Arbeitgeber seiner Testangebotspflicht nachkommt. Davon ist spätestens seit Bekanntwerden der entsprechenden Bundesverordnung auszugehen.

Sie kritisieren weiter, dass die Meldepflicht für Testverweigerung den Betriebsfrieden beeinträchtige. Hier bitte ich die Alternative zu bedenken. Wir könnten stattdessen, wie das Land an Schulen, ein Betretungsverbot aussprechen, was faktisch zu einem Arbeitsverbot führt, wenn man sich nicht testen lässt, und das unmittelbar arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Wir haben daher bewusst ein viel milderes Mittel gewählt. Der Arbeitgeber muss nicht gegen seine Beschäftigten vorgehen und die Polizeibehörde geht dem Verstoß eigenständig nach.

Die von Ihnen konstatierte Rechtsunsicherheit besteht nicht. Die städtische Allgemeinverfügung ist unmittelbar wirk sam. Sie ist in Abstimmung mit dem Land Baden-Württemberg erlassen. Die ungeklärte Grundsatzfrage, wieweit die Regelungskompetenz der Stadt in dieser Konstellation greift, könnte nur höchstrichterlich geklärt werden. Dafür haben wir schlicht keine Zeit.

Ihre Annahme, dass ohnehin fast alle Beschäftigten freiwillig an Testungen teilnehmen, ehrt Sie. Im Hinblick auf die Solidarität der Beschäftigten untereinander ist es aber wichtig, dass alle teilnehmen, denn man schützt damit ja nicht sich selbst, sondern die Kollegen. Auch 10%, die nicht teilnehmen, sind daher für den Betriebsfrieden und das Infektionsgeschehen ein Problem. Große Ausbrüche in Betrieben, derzeit zum Beispiel in Rottenburg, sind ein Treiber der Pandemie und der örtlichen Inzidenz, die eine Schließung von ganzen Branchen zur Folge haben kann.

Die ausgedehnten Testpflichten dienen der Absenkung des Infektionsrisikos und damit dem Schutz der Arbeitsplätze in Handel, Dienstleistungen und Kultur, die nur durch den Modellversuch geöffnet bleiben können.

Ich würde mich daher sehr freuen, wenn Sie bei Ihren Mitgliedern für die verpflichtende Betriebstestung werben würden. Für halbe Sachen, also nur eine Angebotspflicht, ist die Lage zu ernst. Und die vielen komplizierten Rechtsfragen erübrigen sich ganz von selbst, wenn man pragmatisch sagt: „Zweimal die Woche Nasebohren schadet niemandem, also machen wir jetzt einfach alle mit!"

Unterzeichnet von Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingen

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