Laut KI-Experte Henry Ajder ist die Zahl der Deepfakes im Internet in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Er forscht bereits seit Jahren zu Deepfakes. Zählte der Forscher 2018 noch etwa 14.000 im Netz kursierende Deepfake-Pornovideos, lasse sich heute keine Zahl mehr nennen, sagte Henry Ajder im Interview mit "Vollbild": "Wir sprechen hier wahrscheinlich von Milliarden von Deepfakes, die mittlerweile erstellt wurden", sagt der Experte.
"Wir sprechen im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Bildern über Millionen von Frauen, die jetzt ins Visier genommen werden. Wir können zwar keine Statistiken vorlegen, aber doch mit Sicherheit sagen, dass diese Technologie regelrecht explodiert ist -auch in Hinblick auf ihre bösartige Verwendung."
In der Vergangenheit wurden vor allem gefälschte Sexvideos und Nacktbilder von prominenten Frauen im Internet verbreitet. Auch heute gibt es Internetforen, in denen massenhaft Promi-Deepfakes geteilt werden.
Die Influencerin "Mrs. Bella" wurde von "Vollbild" auf ein von ihr im Netz kursierendes Deepfake-Pornovideo aufmerksam gemacht. Sie will nun juristisch gegen die Verbreitung des Videos vorgehen. "Früher waren Prominente betroffen, Personen des öffentlichen Lebens. Jetzt kann es jeden treffen. Wir sind Freiwild", sagt die britische Buchautorin und Aktivistin Kate Isaacs im Interview. Sie hat in Großbritannien die Initiative #NotYourPorn gegründet, um auf digitale Gewalt aufmerksam zu machen. Inzwischen plant die britische Regierung ein Gesetz, das Deepfake-Pornovideos unter Strafe stellen soll.
So weit ist die Bundesregierung offenbar noch nicht: Das Bundesjustizministerium erklärt auf "Vollbild"-Anfrage, demnächst solle ein Eckpunktepapier für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorgelegt werden. "Ziel ist es, den Rechtsschutz für Betroffene digitaler Gewalt zu verbessern", so eine Sprecherin.
Wie eine Recherche von "Vollbild" beim BKA und den Landeskriminalämtern zeigt, werden Deepfakes in Deutschland bislang behördlich nicht erfasst, weil sie keinen eigenen Tatbestand darstellen. So teilt das LKA Bayern mit: "Die Rechtslage zu Deepfakes ist aufgrund des neuen Phänomens noch nicht eindeutig. Bei der Herstellung und Verbreitung von täuschend echt wirkendem Bild- und Videomaterial von anderen Personen mittels Deepfake-Software können verschiedene Straftaten verwirklicht werden." In Frage kommen z. B. Verstöße gegen das Kunsturheberrechtsgesetz, Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten oder Beleidigung.
Im Zuge der Recherche ist es dem "Vollbild"-Team gelungen, mit Tätern per Chats in Kontakt zu treten. Die Recherchen zeigen, dass zahlreiche Männer mit Deepfakes ihre pornografischen Fantasien befriedigen wollen. Einigen geht es darum, Frauen und Mädchen aus ihrem privaten Umfeld zu demütigen und erniedrigen.
Es gibt Bilderforen und Tauschbörsen im Internet, in denen User unzählige Bilder von Mädchen und Frauen hochladen, damit andere User sie in Pornos deepfaken. Deepfake-Wünsche werden mitunter binnen eines Tages erfüllt, viele User machen das kostenlos, als Hobby.
Viele Frauenberatungsstellen kennen das Phänomen Deepfakes: Anna Lehrmann vom Verein "Frauen helfen Frauen" in Fürstenfeldbruck schildert im "Vollbild"-Interview, dass Deepfakes häufig auch mit anderen Formen von Gewalt wie Erpressung oder Bedrohung einhergingen. Gefälschte Sexbilder oder -videos würden oft von Männern als Waffe bei Beziehungsstreitigkeiten eingesetzt.
Wie langanhaltend der Schaden sein kann, den Betroffene durch Deepfakes erleiden, erklärt Josephine Ballon, Rechtsanwältin und Head of Legal bei der gemeinnützigen Organisation "HateAid", die Betroffene Digitaler Gewalt berät und unterstützt.
"Wenn das Bild einmal in der Öffentlichkeit ist, dann wird es geteilt. Selbst, wenn man vielleicht eine Löschung erzielen konnte, teilen es andere vielleicht einfach weiter auf anderen Plattformen, haben es sich sogar gespeichert, um es später nochmal zu posten. Das kann für Betroffene bedeuten, dass sie ein Leben lang nach ihren Bildern suchen und für die Löschung sorgen müssen", so Josephine Ballon.
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